„Das eine nicht ohne das andere“ – unter diesem Motto fand am 29. April 2024 der Fachtag zum Thema Integrationsmanagement und Gemeinwesenarbeit statt. Dazu hatten der Niedersächsische Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe, Deniz Kurku, gemeinsam mit der LAG Soziale Brennpunkte Niedersachsen e.V. in den Werkhof in Hannover eingeladen. Bei über 120 Teilnehmenden aus der Gemeinwesenarbeit, dem Quartiersmanagement und der Migrationsarbeit war die Veranstaltung restlos ausgebucht, was das große Interesse zeigte, das das Thema offensichtlich hervorruft. Deniz Kurku führte als Moderator persönlich durch die Veranstaltung, die hier vollständig nachgeschaut werden kann.
Inhaltlicher Auftakt für die Veranstaltung bildete die Quakenbrücker Neustadt – als Teil des dortigen Nachbarschaftschatzes – zeigten die Bewohnerinnen Heidi und Natalii stellvertretend für eine ebenso engagierte Nachbarschaft, was es braucht, damit das Zusammenleben vor Ort trotz aller Herausforderungen funktioniert.
Fachvortrag: Integration, Gemeinwesenarbeit und Demokratie hängen zusammen
Prof. Milena Riede von der Hochschule für Soziale Arbeit und Sozialpädagogik in Berlin führte mit einem erkenntnisreichen Vortrag über die historischen Hintergründe und Grundsätze der Gemeinwesenarbeit mit wissenschaftlichem Blick ein. Ganz allgemein ziele die Gemeinwesenarbeit auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse und Teilhabe aller Bewohner:innen von häufig benachteiligten sozialen Gebieten ab. Ganz besonders nehme sie eine Brückenfunktion zur sozialen Integration und Teilhabe ein: „Wir brauchen Brücken zwischen unterschiedlichen Gruppen und Milieus“, so Prof. Riede. Mit Blick auf die Projekte und deren Qualitätsstandards werde in Niedersachsen an mehr als dreihundert Orten sehr vorbildliche Arbeit geleistet.
I. Podium: Bauen und Soziales im Tandem für die Integration in Niedersachsen
Wie wichtig eine erfolgreiche Integration zugewanderter Menschen auch von sozialräumlichen Angeboten im Quartier abhängt, betonte Integrationsminister Dr. Andreas Philippi im Gespräch mit Deniz Kurku und Stefanie Nöthel, Abteilungsleiterin im Niedersächsischen Wirtschafts- und Bauministerium. In Niedersachsen könne man hier auf gute und gewachsene Strukturen aufbauen, nicht zuletzt auf denen des niedrigschwelligen Engagements. Eine sichere finanzielle Grundlage sei unabdingbar, aber ebenso auch die Menschen, die sich „mit Herzblut und Verstand“ um das Gemeinwesen kümmern.
Durch die institutionelle Förderung der LAG Soziale Brennpunkte Niedersachsen im Rahmen der „Selbsthilfe-Richtlinie“ ermöglicht das Niedersächsische Sozialministerium den Austausch langjährig erfahrener Selbsthilfeprojekte mit den neuen GWA-Standorten: Sie alle unterstützen das Zusammenleben in vielfältigen Nachbarschaften. Der Austausch des Praxisnetzwerkes der Expert:innen vor Ort ließ sich im Laufe der Veranstaltung beobachten: Bewohnerexpert:innen diskutierten angeregt mit Integrationsbeauftragten, Gemeinwesenarbeiter:innen mit über 20-jähriger Erfahrung mit gerade gestarteten Projektmitarbeitenden.
Zu den aufgebauten Strukturen für alle in der Nachbarschaft zählen auch das Landesprogramm „Gemeinwesenarbeit und Quartiersmanagement – gute Nachbarschaft“ sowie das Bündnis für Gute Nachbarschaft, wie Stefanie Nöthel anmerkte. Damit unterstützt das Land seine Kommunen bei der sozialen Stadtentwicklung und fördert Maßnahmen in benachteiligten Orts- und Stadtteilen, die vor großen integrativen und sozialen Herausforderungen stehen und stößt innovative Prozesse der Stadtentwicklung an. Gleichwohl, so Nöthel, würden die derzeit zur Verfügung stehenden drei Millionen Euro dem Bedarf vor Ort nicht gerecht.
Der leider verhinderte Wirtschaftsminister Olaf Lies unterstrich in einem Videogrußwort, dass die Gemeinwesenarbeit im Quartier eine Daueraufgabe ist, die auch entsprechend langfristig finanziert werden muss.
II. Podium: Was braucht es für Integration aus Perspektive landesweiter Verbände und der Kommunen?
Wie wichtig das Zusammendenken von Integration und Gemeinwesen in vielen Bereichen der sozialen Angebote und Daseinsführsorge ist, wurde in der anschließenden Podiumsdiskussion angeregt erörtert. In jeder Hinsicht, so die Co-Geschäftsführerin der LAG Soziale Brennpunkte e.V., Johanna Klatt, brauche es für zugewanderte Menschen sowohl zielgruppenspezifische Angebote als auch solche, die zugleich für alle Bewohner:innen in einem Wohngebiet bestimmt sind. Die Gemeinwesenarbeit in Verbindung mit „intelligenten und langfristigen Finanzierungsmodellen“ auszubauen, komme der gesamten Gesellschaft und Demokratie zugute.
Für Kai Weber vom Flücthlingsrat Niedersachsen ist all dies auch für die Teilhabe geflüchteter Menschen wichtig, um in das Gemeinwesen ihrer Unterkünfte aktiv eingebunden zu sein. Das fördere nicht zuletzt die Akzeptanz der Neuangekommenen und deren Perspektiven in der Gesellschaft. In dieser Hinsicht habe sich – trotz vieler bestehender Zugangshürden – in den vergangenen zehn Jahren einiges zum Guten verändert. Malte Spitzer, Sozialdezernent der Stadt Hildesheim, merkte kritisch an, dass die Notwendigkeit, die verschiedenen Bereiche der sozialen Daseinsfürsorge zukünftig sozialräumlich zu strukturieren, bedauerlicherweise an der Realität in den Kommunen vorbeigehe, insbesondere was die Frage der verlässlichen Finanzierung betrifft. Bund und Land seien hier aufgefordert, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen und die Förderkulisse neu zu gestalten.
„Was kann ich selbst tun, um das Zusammenwirken von Gemeinwesenarbeit und Integration vor Ort zu verstärken?“ Tandem-Spaziergänge durch die Nordstadt
Der persönliche Austausch untereinander stand im Mittelpunkt der Tandem-Spaziergänge nach dem Mittagessen. Zu zweit und im thematisch passenden Spaziergang durch die Nordstadt bot sich die Gelegenheit für alle Teilnehmenden, intensiver in den Austausch zu kommen und das Gehörte auf die eigene Situation und die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu übertragen.
Hier finden Sie die – durch künstliche Intelligenz sortierten – Ergebnisse der Tandem-Spaziergänge.
In seinem Fachvortrag begründete Timo Heyn vom Forschungs- und Beratungsinstitut Empirica in Bonn sein Plädoyer, die Themen Migration, Integration und Teilhabe mit einer Querschnittsorientierung stärker in der kommunalen Stadtentwicklungsplanung zu verankern. Der Vortrag basierte auf einer 2022 veröffentlichten Studie im Auftrag des Bundesbauministeriums. Zu den Empfehlungen gehören Beteiligungskonzepte insbesondere mit Blick auf Bewohner:innen mit einer Zuwanderungsbiographie.
Praxisbeispiele aus ganz Niedersachsen: Hildesheim, Göttingen und Hameln
In zahlreichen Gemeinden und Kommunen in Niedersachsen greifen Integrations- und Quartiersarbeit bereits eng ineinander, strukturell wie auch personell.
Im klassischen Ankunftsort der Hildesheimer Nordstadt wird Bildungs-, Sozial- und Kulturarbeit unter Einbindung vieler Akteure eng miteinander verzahnt, nicht ohne dabei auf große Herausforderungen zu stoßen. Frank Auracher vom Stadtteiltreff machte hier u.a. auf die notwendige Verstetigung der Städtebauförderung aufmerksam.
In Vertretung für die Integrationsbeauftragte der Stadt, Christine Hammer, stellte Markus Kissling den gesamtstädtischen Ansatz der Stadt Göttingen vor, der Integrations- und Nachbarschaftsarbeit zusammendenkt und umsetzt.
Dr. Ovidio Ioan stellte die Gemeinwesenarbeit und das Projekt Juleiqua sowie das von ihm geleitete Weststadtzentrum in Göttingen vor, mit der es kontinuierlich gelungen sei, Vertrauen in der Bewohnerschaft aufzubauen und sich als wichtigen Akteur im Zusammenspiel mit der dortigen Verwaltung und Politik zu etablieren.
In Hameln zeigt das gemeinsame Projekt „hameln kann’s“ den Schulterschluss zwischen Quartiersmanagement und Integrationsarbeit, wie Claudia Schmidt und Suna Baris ausführten.